Frisch auf dem Tisch: Peter Sprengels Hauptmann-Biographie

Der 150. Geburtstag Gerhart Hauptmanns rückt näher, und allmählich kommen die Einschläge dichter. Erschien Anfang August der Nachtragsband zur internationalen Bibliographie (wir berichteten), liegt nun der sehr wahrscheinlich gewichtigste Beitrag des Jubiläumsjahrs vor: Eine Biographie des Dichters aus der Feder von Peter Sprengel.

Umschlag von Peter Sprengels Hauptmann-Biographie

Um die Bedeutung dieses Werks ermessen zu können, hilft ein Blick auf die bisherige Lage der Hauptmann-Biographik. In den letzten Jahrzehnten waren es vor allem drei Biographien, die in mehreren Auflagen verfügbar waren:

  1. Eberhard Hilschers (1927–2005) umfangreiche Gesamtdarstellung erschien erstmals 1969 im Ost-Berliner Verlag der Nation unter dem schlichten Titel »Gerhart Hauptmann«.[1] Bis 1979 folgten zwei weitere Auflagen,[2] kurz vor der Wende 1987 eine Neubearbeitung, die den Untertitel »Leben und Werk« erhielt und nun veröffentlichtes wie unveröffentlichtes Material aus dem Nachlaß Gerhart Hauptmanns auswerten konnte.[3] Die Neubearbeitung erschien als Lizenzausgabe 1988 auch in Westdeutschland[4] und war die Grundlage für eine Taschenbuchausgabe, die der Aufbau-Verlag 1996 anläßlich von Hauptmanns 50. Todestag herausbrachte.[5] Das Nachwort dieser Taschenbuchausgabe bezeichnet das Werk nun als Biographie und gibt einen kurzen Hinweis auf die »schwierigen kulturpolitischen Bedingungen«, unter denen die »Urfassung« in der DDR entstand. »Erst Mitte der achtziger Jahre« sei es gelungen, »(wenngleich nicht immer kompromißlos), ärgerliche Lektoratseinschübe und verordnete Passagen aus der 1. Auflage von 1969 weitgehend zu eliminieren«.[6]
    Hilschers Hauptmann-Biographie war zweifellos ein Meilenstein, insbesondere weil sie ihrem Autor als Bewunderer Thomas Manns eine wohltuende Distanz zu seinem Gegenstand ermöglichte, die früheren Hauptmann-Biographien fehlte, da sie oft von Autoren aus dem Bekanntenkreis Hauptmanns stammten (z.B. von Paul Schlenther [1854-1916] oder Joseph Gregor [1888-1960]). Gleichwohl war Hilschers Hauptmann-Buch mehr eine Werkmonographie in chronologischer Darstellung mit biographischem Schwerpunkt als eine Biographie im engeren Sinne.
  2. Das Gegenstück zu Hilschers Arbeit für den westdeutschen Buchmarkt stammte von Wolfgang Leppmann (1922–2002). »Gerhart Hauptmann. Leben, Werk und Zeit« lautet der Titel seiner 1986 im Scherz-Verlag veröffentlichten Hauptmann-Biographie,[7] die drei Jahre später auch im Fischer Taschbuchverlag[8] erschien und zwischen 1995 und 2007 in einer Neuausgabe bei Propyläen und Ullstein erhältlich war.[9] Warum sich diese Biographie geringerer Beliebtheit erfreute, obwohl sie im Untertitel 1995 sogar als »die Biographie« bezeichnet wurde (die folgenden Ausgaben waren wieder bescheidener), bedürfte einer eigenen Untersuchung. Der geringere Umfang wird kaum der Grund sein, sicher auch nicht, daß es bei Leppmann keine biographische Zeittafel gibt (wie Hilscher sie bietet). Über ein Register erwähnter Personen und Werke Hauptmanns verfügen beide Biographien, so daß auch hier nicht der Grund liegen dürfte. Der Gebrauchswert von Leppmanns Darstellung (für gezielten Zugriff) ist etwas beschränkter aufgrund der gröberen Gliederung.
  3. Gänzlich anderen Charakter hat die Rowohlt-Bildmonographie von Kurt Lothar Tank (geb. 1910), die zwischen 1959 und 2006 insgesamt 28 Auflagen erfuhr.[10] Geringerer Umfang, hoher Anteil an Illustrationen und Zitaten, die für sich sprechen sollen, und stärkere Beschränkung auf im engeren Sinne Biographisches sind Kennzeichen der Reihe, in denen der Band erschien. Da die Hauptmann-Forschung nicht frei von Fortschritten war, wäre – gerade angesichts der großen Verbreitung der Rowohlt-Bildmonographien – eine Neufassung auch des Bandes über Hauptmann längst an der Zeit gewesen. (Vielleicht kann der Verlag dafür nun Peter Sprengel gewinnen, nachdem die große Hauptmann-Biographie vollendet ist?)

Neben diesen dreien gab es auch in jüngerer Zeit verschiedene Biographien oder biographische Essays, von denen jedoch kein Werk die auch nur annähernd vergleichbare kanonische Bedeutung erlangt hat (wobei Auflagen- und Verkaufszahlen nicht als einziges Kriterium der Bedeutung und Wirkung gelten sollen). Hervorzuheben wäre noch »eine Biografie« (so auch der Untertitel) von Rüdiger Bernhardt aus dem Jahr 2007,[11] die sich sowohl vom Umfang her (etwas über 200 Seiten) als auch durch ihre Form (insbesondere mit zahlreichen Illustrationen) an ein breiteres Publikum richtet, sofern das bei einem Autor wie Gerhart Hauptmann überhaupt noch verfügbar sein sollte.

»Eine Biographie« lautet nun auch der zweite Untertitel der neuen Hauptmann-Biographie von Peter Sprengel, die nicht nur »die ausführlichste Monographie, die je über Hauptmann geschrieben wurde« (S. 10 f.), sein dürfte, sondern überdies Aussicht darauf haben dürfte, ab jetzt und für lange Zeit die Hauptmann-Biographie schlechthin zu werden. Warum sollte das so sein?

Zum einen ist der Verfasser ausgewiesener Kenner Hauptmanns und überhaupt der Literaturgeschichte mit Schwerpunkt auf dem deutschen Kaiserreich. Das ist freilich ein Vorschußkredit, der sich aber schon nach Lektüre der ersten zwei oder drei Kapitel als berechtigt erweist. Angesichts der zahlreichen Veröffentlichungen Sprengels über Gerhart Hauptmann könnte naheliegen, daß er nun nur die Summe des Bekannten bietet. Mitnichten jedoch bleibt die neue Biographie dabei stehen, vielmehr ist sie selbst ein weiterer Beitrag zur Hauptmann-Forschung, der sich auf intensives Studium auch unveröffentlichter Quellen gründet (man betrachte nur die Liste der »Siglen für Werkausgaben und Archive« auf S. 814, die allein sieben Nachlässe aus vier bestandshaltenden Institutionen enthält, und das sind nur die mit Siglen zitierten) und zahlreiche Mythen der Hauptmann-Biographik revidiert. Im einleitenden Abschnitt heißt es dazu:

»Die konsequente Orientierung an Originalquellen aus der Zeit des jeweiligen Geschehens – also vor allem Tagebücher und Briefe –, die sich diese Darstellung zur Pflicht gemacht hat, führt zu zahlreichen Korrekturen und neuen Erkenntnissen im Detail. So werden Entstehung und Druckgeschichte der ersten Buchveröffentlichungen Hauptmanns auf eine deutlich veränderte Basis gestellt, eine unbekannte Jugendgeliebte (Gertrud Laske) entdeckt, eine handfeste Erpressung durch den ersten literarischen Mentor (Max Kretzer) aufgedeckt und eine persönliche Begegnung mit dem Pazifisten und Dadaisten Johannes Baader zur Zeit des Ersten Weltkriegs dokumentiert, von der sich bisher weder die Hauptmann- noch die Baader-Kenner etwas träumen ließen. Erstmals erfahren wir aus Hauptmanns eigenem Mund Genaueres über seine Intentionen bei der Niederschrift der Weber; erstmals wird das Geheimnis um die Heirat seines Sohns Benvenuto mit Elisabeth Prinzessin zu Schaumburg-Lippe gelüftet; erstmals wird der Leser anhand der Tagebücher Margarete Hauptmanns über die prekäre Lage ihres schon vom Tod gezeichneten Mannes im polnisch gewordenen Schlesien zur Zeit der Heimatvertreibung informiert.« (S. 11)

Wer schon Sprengel Buch über Gerhart Hauptmann im Dritten Reich[12] kennt, hat damit zugleich eine Vorstellung von der Art der Gesamtbiographie. In leserfreundlichem, fast erzählenden Stil, dennoch stets detailreich, fundiert und ohne Spekulationen führt der Autor seine Leser durch ein ereignisreiches Leben. Im Zentrum steht das Leben des Dichters, ohne daß Bezüge zum Werk zu kurz kämen, denn beides war bei Hauptmann engstens miteinander verbunden.

Außer für sequentielle Lektüre und zum Blättern, wozu u.a. die Illustrationen einladen, eignet sich die Biographie auch zum Nachschlagen. Es gibt zwar keine Zeittafel (die den Band noch umfangreicher gemacht hätte und die vielleicht entbehrlich ist, weil sich der Text eng an die Chronologie hält), dafür findet man aber außer den Verzeichnissen der erwähnten Personen und der Werke Hauptmanns ein Register der Aufenthaltsorte.

Erschienen ist die Biographie im Verlag C. H. Beck, der seit Jahren Maßstäbe bei wissenschaftlich fundierten Schriftsteller-Biographien gesetzt hat: man denke etwa an die Thomas-Mann-Biographie von Hermann Kurzke und die Kafka-Biographie von Peter-André Alt. Es ist nicht die schlechteste Umgebung für die neue Hauptmann-Biographie, der große Verbreitung zu wünschen ist. In der Hauptmann-Forschung wird man sie bald nicht mehr wegdenken können. Und spätestens, wenn in einigen Jahren eine Taschenbuchausgabe folgen wird, dürfte größerer Verbreitung nichts mehr im Wege stehen.

Peter Sprengel: Gerhart Hauptmann. Bürgerlichkeit und großer Traum. Eine Biographie. München: Beck, 2012. – 848 S.: zahlr. Ill. – ISBN: 978-3-406-64045-2 – 38 Euro.
Inhaltsverzeichnis

Nachweise:

[1] Eberhard Hilscher: Gerhart Hauptmann, Berlin: Verl. der Nation, 1969, 661 S.
[2] Eberhard Hilscher: Gerhart Hauptmann, 2., durchges. Aufl., Berlin: Verl. der Nation, 1974, 665 S. u. Eberhard Hilscher: Gerhart Hauptmann, 3., überarb. Aufl., Berlin: Verlag der Nation, 1979, 632 S.
[3] Eberhard Hilscher: Gerhart Hauptmann. Leben und Werk. Mit bisher unpublizierten Materialien aus dem Manuskriptnachlaß des Dichters, Neuausg., 1. Aufl., Berlin: Verl. d. Nation, 1987, 601 S.
[4] Eberhard Hilscher: Gerhart Hauptmann. Leben und Werk. Mit bisher unpublizierten Materialien aus dem Manuskriptnachlaß des Dichters, Frankfurt/M.: Athenäum, 1988, 601 S.
[5] Eberhard Hilscher: Gerhart Hauptmann. Leben und Werk, Berlin: Aufbau Taschenbuch-Verl., 1996, 608 S.
[6] Ebd., S. 579.
[7] Wolfgang Leppmann: Gerhart Hauptmann. Leben, Werk und Zeit, Bern: Scherz, 1986, 415 S.
[8] Wolfgang Leppmann: Gerhart Hauptmann. Leben, Werk und Zeit (Fischer-Taschenbücher 5683), Frankfurt/M.: Fischer-Taschenbuch-Verl., 1989, 415 S.
[9] Wolfgang Leppmann: Gerhart Hauptmann. Die Biographie, Neuausg., Berlin: Propyläen, 1995, 414 S. u.
Wolfgang Leppmann: Gerhart Hauptmann. Eine Biographie, Frankfurt/M. und Berlin: Ullstein, 1996.
[10] Kurt Lothar Tank: Gerhart Hauptmann in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten (Rowohlts Monographien 27), Hamburg: Rowohlt, 1959, 176 S.
[11] Rüdiger Bernhardt: Gerhart Hauptmann. Eine Biografie, Fischerhude: Atelier im Bauernhaus, 2007, 224 S.
[12] Peter Sprengel: Der Dichter stand auf hoher Küste. Gerhart Hauptmann im Dritten Reich, Berlin: Propyläen, 2009, 382 S.

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1 Kommentar

  1. Tour zur Hauptmann Biografie zu empfehlen unter http://kulturreise-ideen.de/literatur/autoren/Tour-gerhart-hauptmann.html

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