Gerhart Hauptmann – eine Würdigung

Von Rüdiger Bernhardt

Als Gerhart Hauptmann an seinem 50. Geburtstag als zweitem deutschem Schriftsteller nach Paul Heyse der Nobelpreis verliehen wurde, stand er auf der Höhe seines Schaffens. Er feierte den 50. mit 150 geladenen Gästen im Berliner Hotel Adlon, eine zweite sechsbändige Werkausgabe erschien in Deutschland, eine vierzehnbändige in Russland. Hauptmann war ein weltberühmter Autor. Nur das deutsche Kaiserhaus wollte das nicht wahrhaben: Man verzieh ihm die Weber nicht.

Begonnen hatte es allerdings mit dem Theaterskandal 1889 Vor Sonnenaufgang, der den bis dahin unbekannten und zwischen Bildhauerei und Literatur schwankenden Hauptmann an die Spitze der naturalistischen Bewegung katapultierte, nachdem die Naturalisten ihren Marsch durch die Institutionen ohne ihn gegangen waren. Nur der überragende Dichter fehlte, für den sie schon das Theater, die »Freie Bühne«, gegründet hatten. Sie fanden ihn in Gerhart Hauptmann.

Sein Leben hatte er 1912 in gute bürgerliche Ordnung gebracht: Von seiner ersten Frau Marie, geb. Thienemann, war er seit 1904 geschieden, für die zweite hatte er Haus Wiesenstein im Riesengebirge gebaut – über Glanz und Pracht im Hause berichtete die Presse enthusiastisch –, und die kurze Leidenschaft zu Ida Orloff 1906 war nur noch literarisches Thema, wenn auch ein bis zu Hauptmanns Tod 1946 anhaltendes.

Mit der zunehmenden Repräsentanz trat das soziale Engagement des Dichters in den Hintergrund. Als die schwedische Presse den frisch gekürten Nobelpreisträger nach seinen politischen Interessen fragte, bekannte er, Sozialdemokrat gewesen zu sein, nun aber keiner Partei mehr anzugehören. In Schweden vermerkte man ironisch, der Nobelpreisträger sei »offensichtlich nicht genau derselbe« wie der Autor der Weber. Das beschrieb den von Unentschiedenheit geprägten Charakter des Dichters. Sein sprichwörtlich gewordenes »nu ja, ja – nu nee, nee« aus den Webern entsprach dem eigenen Zustand. Hauptmann machte ihn zum Thema seiner Werke und lebte ihn. Das erklärt auch, warum seine wenig eindeutigen politischen Aussagen von unterschiedlichsten politischen Mächten benutzt werden konnten. Nur die Weimarer Republik war seiner Mischung aus sozial geprägtem Mitleid, literarischer Genialität und volksverbundener Repräsentanz entsprechend. In ihr wurde er zum »Vater des Volkes», wie ihn Thomas Mann nannte. Als 1921 durch die Presse ging, er sei als Staatspräsident vorgeschlagen worden, dementierte er das, vertraute aber dem Tagebuch an, er fürchte, er müsse doch Reichspräsident werden, »weil kein anderer heut das deutsche Schicksal so in sich trägt». Damit meinte er seine Unentschiedenheit; von Hamlet war er fasziniert.

Sein Ruhm war bleibend. Werke wie Der Biberpelz, Die Ratten“ Fuhrmann Henschel, Vor Sonnenuntergang, neuerdings auch Und Pippa tanzt! gehören zum Kanon der Theater. Seine Prosa war begehrt, Bahnwärter Thiel wurde Schulstoff, Der Ketzer von Soana geheimnisumwitterte Empfehlung wie die späte Novelle Mignon.

Besondere Wirksamkeit hatte Hauptmanns Werk in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR, wo sich in Kloster auf Hiddensee und Erkner bei Berlin zwei Hauptmann-Museen befanden. Es war auch nicht verwunderlich, daß sich Vertreter der Besatzungsmacht 1946 am Grab auf Hiddensee verneigten. Die Russen hatten immer ein besonderes Verhältnis zu dem Dichter und ihm noch vor der ersten deutschen Werkausgabe eine russische 1902 geschaffen. Auf der Insel, die ihm eine zweite Heimat war und wo sich heute noch sein Haus »Seedorn« im ursprünglichen Zustand befindet, durch die Stiftung seiner Schwiegertochter Annalise Hauptmann vor ungewisser Zukunft bewahrt, wollte er begraben sein. Das hatte er in seinem Terzinenepos Der große Traum beschrieben und als Vermächtnis seiner Frau Margarete übertragen: »Wenn ich nicht fürchten müsste, meine guten Schlesier zu kränken, so möchte ich am liebsten auf diesem schlichten Friedhof von Hiddensee meinen ewigen Schlaf schlafen.« Da er Schlesien verlassen mußte, konnte sich sein Wunsch erfüllen. So schrecklich und so gnädig gleichermaßen kann Geschichte sein, die in diesem Falle sogar dem Dichter die wiederum aufgeschobene Entscheidung abnahm.

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